Der panzer des hummersDiogenes Verlag 300dpi

»Familie beruht auf unseren Träumen, Wunschvorstellungen und Projektionen.«

Der Panzer des Hummers ist ein moderner Familienroman. Was bedeutet Familie für Sie? Und was kann eine Familie jenseits der konventionellen Formen des Zusammenlebens sein?

Caroline Albertine Minor: Wenn ich an das Wort »Familie« denke, ist das nächste Wort, das mir einfällt, »ideal«. Ich glaube, dass die Familie heute als Institution, zumindest in der dänischen Gesellschaft, weniger denn je auf unseren tatsächlichen ökonomischen und existentiellen Bedürfnissen beruht als vielmehr auf unseren Träumen, Wunschvorstellungen und Projektionen. Das ist, nach meiner Erfahrung zumindest, eine sehr schwierige Kombination. Wir wollen sie, aber wir brauchen sie nicht. Und wir wollen, dass Familie auf eine bestimmte Weise aussieht und sich auf eine bestimmte Art anfühlt, damit sie »richtig« ist. Und wenn es uns nicht gelingt diese Version von Familie zu erschaffen, dann sind wir dazu geneigt, dies als ein Scheitern zu sehen.

Worum geht es in Ihrem Roman?


Caroline Albertine Minor: Der Roman erzählt von einer Familie, die ihren gemeinsamen Kern verloren hat und nun in alle Himmelsrichtungen verteilt lebt. Es ist eine Geschichte über die regenerierende Macht bedingungsloser Liebe und die manchmal irreparablen Folgen eines Vertrauensbruchs zwischen Eltern und Kind. Während fünf Tagen im April lernen die Leser:innen die Geschwister Ea, Sidsel und Niels Gabel kennen und begleiten sie für eine Weile – und dadurch, so hoffe ich, erhalten sie einen Einblick in das, was einmal war und was vielleicht wieder sein könnte. Tatsächlich ist die Geschichte nach der mittlerweile bekannten »Carrier Bag Theory« von Usula K. Le Guin geschrieben: Der Panzer des Hummers ist ein Gefäß, das ich mit allem gefüllt habe, was mich interessiert: Elternsein, Gleichzeitigkeit, die Vorstellungen über den Tod und das Leben danach. Der Wunsch nach einer Beziehung, die Unmöglichkeit einer Beziehung. Im Buch gibt es Verbindungen, die ich bewusst geschaffen habe, und dann gibt es welche, die von allein im Text entstanden sind. Letztere sind bei weitem interessanter.

Was soll der Titel des Romans zum Ausdruck bringen? Wofür ist der titelgebende Hummer eine Metapher?

Caroline Albertine Minor: Na ja, genau wie Niels bin ich billigen Allegorien gegenüber skeptisch und bin mir nicht sicher, ob emotionale Wachstumsschmerzen wirklich erklärt werden können, indem man auf das Leben eines Schalentiers verweist. Aber ich mag den Klang der Wörter auf Dänisch, und es macht einen neugierig.

Sie sind Mutter. Hat Sie das beim Schreiben dieses Romans sehr beeinflusst?

Caroline Albertine Minor: Ja, hat es. Ich glaube, mein Schreiben wird immer von meinen Kindern beeinflusst sein. Besonders im Hinblick auf diesen Roman finde ich die Erfahrung, Eltern zu werden und gleichzeitig damit zu kämpfen, seine eigene Geschichte als Liebende am Leben zu erhalten, faszinierend. Es bedeutet, dass auch meine Mutter und mein Vater ein Leben davor hatten. Ein Leben, das man im Innern unterbringen musste und das dann auch noch das Leben als Eltern nähren sollte – nur: Wie macht man das? Geht das überhaupt, und sollte man das überhaupt versuchen?

Gibt es eine Figur, die Ihnen beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen ist?


Caroline Albertine Minor: Bee/Beatrice zu schreiben hat mir besonders Spaß gemacht, weil sie so ein emotionales Wrack ist, jedoch manchmal auch sehr klarsichtig und recht kompetent in dem, was sie tut. Charaktere mit Ecken und Fehlern sind interessanter zu schreiben.

Warum schreiben Sie? Und wovon lassen Sie sich beim Schreiben leiten?

Caroline Albertine Minor: Es gibt darauf verschiedene Antworten, aber ich denke, die zutreffendste ist: weil ich auf dies Weise besser denken kann. Und auch: weil es das drohende Gefühl der Sinnlosigkeit vertreibt, zumindest eine Zeitlang.

Eltern, die im Jenseits miteinander sprechen, Seherinnen, Rabbis, die mit Metaphern spielen. Der Roman enthält viele spirituelle Elemente, die man als »alternative Mythologien« bezeichnen könnte. Warum haben Sie sich dafür entschieden, diese in die Geschichte einfließen zu lassen?


Caroline Albertine Minor: Unabhängig davon, ob diese Dinge (übernatürliche Ereignisse, Erfahrungen etc.) »wahr« sind – sie bedeuten vielen Menschen sehr viel. Jede Kultur hat ihre Version einer imaginären, anderen Welt. Ich finde dies hochinteressant und, um ehrlich zu sein, recht banal. Diese Vorstellungen sind nichts Verrücktes oder Außergewöhnliches: Ich glaube, das ist es, was ich mit meinem Roman vermitteln wollte – dass dies verschiedenen Ebenen der Existenz nahtlos ineinander übergehen.

(c) Diogenes Verlag Zürich

Leseprobe:

Der-Panzer-des-Hummers

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