Hundepark

Momentan habe ich wieder ein Dauerabo im Stadttheater Gießen: Schauspiel im Kleinen Haus, Oper und Schauspiel im Großen Haus. Diesmal also eine Uraufführung und zwar von „Hundepark“. Dies ist ein Roman von Sofi Oksanen, einer Finnischen Autorin und Dramaturgin. Ich hatte von diesem Roman schon gehört, aber finnische Autoren, ihr wisst schon, haben es momentan sehr schwer bei mir.

Aber man soll ja nicht ein Buch nach seinem Umschlag beurteilen und somit schaue ich mir gerne das Theaterstück nach diesem Roman an, um mir ein eigenes Bild zu machen. Also bin ich ins Stadttheater, ins Große Haus, diesmal zum Schauspiel. Ich war gespannt. Wie immer bin ich fast unbedarft ins Stück. Gut, ich hatte von dem Buch gehört, aber es nicht gelesen. Wisst ihr wie schwer das ist, man geht ins Theater und da steht ein Büchertisch! Büchersüchtiger an Stadttheater: Man überfällt Buchjunkies nicht unvorbereitet mit Büchern! Das kann zum Rausch werden. Hätte ich genug Geld dabeigehabt, oder eine Freundin, die mir vielleicht ein paar Euros hätte leihen können, ich hätte dieses Buch gekauft! Aber Gott Sei Dank, war ich ja alleine im Stadttheater und Geld hatte ich auch nur für Getränk und was zu essen dabei, ansonsten wäre es spätestens in der Pause um mich geschehen.

Wie ich mir das mittlerweile zu eigen gemacht habe, nehme ich immer gerne die Einführung ins Stück mit. Diesmal wieder von Lena Meyerhoff. Sie durfte ich ja schon beim „Café Populaire“ erleben. Ich muss sagen, es war diesmal nicht ganz so voll wie bei „Caterina Cornaro“, Schade eigentlich. Es kam zu einer kleinen Verzögerung zwischen dem Lautsprecher und dem, was Frau Meyerhoff gesagt hat, sodass ich immer wieder eine leichte Dopplung hatte. Aber halb so wild, nur möchte ich so etwas auch mal anmerken, da kann man vielleicht ein wenig nacharbeiten.

Komme ich nun aber zu dem Theaterstück „Hundepark“. Es spielt in verschiedenen Zeitebenen, mal in Helsinki 2016 oder in Tallinn 1992, Snische, Oblast Donezk 1992-1996 In Dnipro, Oblast Dnipropetrowsk 2006 oder Odessa 2008. Man switcht also immer wieder ein durch die Zeit. Verschiedene Orte, verschiedene Zeiten, verschiedene Personen, die doch die gleichen Schauspieler mit unterschiedlichen Rollen sind. Aber zu dem Schauspiel komme ich gleich.

Es kommt immer wieder zwischendurch eine Band, die immer Musik macht. Diese Band ist nicht vom Stadttheater, sondern von der Musikschule Gießen. Ich kannte die vier Musikerinnen, Darja Bilenko, Kate Bilenko, Erika Ehberger oder Marie Shuta, nicht und über das was sie an ihren Instrumenten können, kann ich mir auch wegen der Kürze der Stücke kaum ein Urteil erlauben. Aber es ist vollkommen egal, welchen musikalischen Background sie haben, diese vier junge Frauen, sind der Kracher! Es gab immer wieder Applaus sobald das Quartett gespielt und gesungen hat. Es war vollkommen egal, in welcher Sprache die Songs waren. Sie waren glockenklar, und gut zu verstehen, wenn man der Sprache mächtig war. Und auch ohne Sprachkenntnisse hat man die Lieder auf der emotionalen Ebene verstanden. Die Sprache der Musik ist einfach international. Ich kann diesen Applaus, den das Publikum gegeben hat, zu 100% verstehen. Und ganz ehrlich, ich höre im Fernseher oder Radio oder sonst wo wesentlich schlechtere Stimmen. Macht bitte weiter so und Hut ab vor dem Mut der Intendanz, auch mal Menschen außerhalb des Theaters eine Chance zu geben. Dies gibt dem Ganzen wirklich einen besonderen Farbtupfer und rundet es ab, denn wie sagt Simone Sterr, zumindest verstehe ich sie so, dass dieses Theater der Stadt und den Bürgern gehört, und dadurch kommen sicherlich auch mal Menschen ins Theater, die ansonsten vielleicht nicht kommen würden.

Komme ich nun wieder zu dem eigentlichen Theaterstück. Es geht diesmal darum, dass man in der Ukraine Eizellenspenderinnen regelrecht ausbeutet. Man verspricht viel Geld, und ja das bekommen die Mädchen auch, aber zu was für einem Preis? Olenka, die von Germaine Sollberger gespielt wird, und mir ja schon als Don bei „Café Populaire“ sehr zugesagt hat, spielt dort die Hauptrolle. Und ehrlich, an ihr konnte ich, ohne die Übertitel zu lesen, jederzeit erkennen, in welchem Jahr und an welchem Ort man sich befindet. Sie hat sich immer wieder schnell auf der Bühne verwandelt.

Es mag nur eine Kleinigkeit gewesen sein, aber es war sehr ausdrucksstark, sie zusammen mit Daria Sokolow, die von Dascha Ivanova gespielt wurde, auf der Bühne zu sehen. Diese Gelenkigkeit von Dascha Ivanova war immer wieder faszinierend, gepaart mit einem Schalk im Gesicht und der Stimme verleiht es dem Ganzen eine besondere Tiefe und man spürte diese innere Zerrissenheit der beiden sehr deutlich bei dem Spiel miteinander. Auch diese besondere Verbundenheit der beiden ist geradezu greifbar und je länger das Stück dauert, desto eher versteht man, wie es dazu gekommen ist.

Zelal Kapcik war einmal die „geldgeile“ Chefin von Olenka, dann Lada Krawez eine Frau, die Viktor Krawez geheiratet hat, einen Sohn eines kriminellen reichen Ukrainers. Sie stellte auch eine Finnische Wunschmutter dar, die nur ein Kind haben möchte und es nicht bekommen kann, sowie eine ältere Frau, die aus ihrem Haus geworfen wird. Was für eine Bandbreite an Verwandlungsfähigkeit! Ganz ehrlich, man wusste immer sofort, wen sie gerade spielt. Jetzt wo ich gerade die verschiedenen Figuren aufschreibe, frage ich mich, wie man da selbst nicht durcheinanderkommen kann, also Hut ab.

Roman, der Liebhaber oder Freund von Olenka, wird von Levent Kelleli gespielt. Gleichzeitig verkörpert er aber auch Olenkas Mutter. Irgendwie mag ich diese Figuren, auch wenn eine davon, nämlich Roman, ein bisschen dunkler ist, als viele andere Figuren in dieser Geschichte. Denn Schattenseiten haben Sie alle, da ist es egal wen man nimmt, sie sind einfach alle Menschen und wir alle haben so unsere dunklen Momente.

Ben Jansen ist auch so ein Fall, der in diesem Stück so viele verschiedene Wesenszüge hat. Da sind: Viktor Vitaljewitsch Krawez, besagter Sohn des Kriminellen Vitali Krawez der nur mit Platzpatronen schießt und deswegen auch kein Kind zeugen kann, Iwan (Olenkas Onkel väterlicherseits), Großmutter Galina und der finnische Wunschvater. Ehrlich, ich würde bei dem ganzen Text und den verschiedenen Charakteren durcheinanderkommen, aber man kann dem ganzen wirklich gut folgen.

Mein Abschluss der Schauspieler macht Roman Kurz. Er spielt den Vater von Viktor und heißt Vital Krawez, stellt aber auch Olenkas Vater dar. In beiden Rollen ist er ein ausgekochtes Schlitzohr, das immer wieder versucht, den anderen zu übervorteilen.

Ihr merkt, es sind eigentlich nur ein paar Schauspieler, aber viele verschiedene Figuren. Als ich dies im Programm gelesen habe, dachte ich mir, na hoffentlich macht das mein Gehirn auch mit, diese ganzen Sprünge, dieses eine Tuch, was irgendwie immer wieder ein anderes Bühnenbild erzeugen kann, dazu ein hartes Thema, aber auch noch einen Kriminalfall. All dies würde mich zuhause vollkommen überfordern, aber durch tolle Schauspieler, geschickte Kostüme und ein gutes Zusammenspiel auch mit der oben genannten Band, wird das Ganze zu einer runden Geschichte. Ja, auch dort kann man wie überall, das Haar in der Suppe finden und das ist, wenn die Schauspieler nach hinten sprechen, dann kann es sicherlich sein, dass ältere Menschen nicht alles verstehen. Dies ist vor allem am Anfang des Stückes passiert, dass ich dachte, na so ein bisschen weniger in den Rückraum sprechen, und vielleicht ein oder zwei kleine Schritte weiter nach vorne zur Bühne, dann kann man sie vielleicht besser verstehen. Es sind so Kleinigkeiten, die vor allem bei älteren Menschen sicherlich wichtig sind, aber mit zu viel Einsatz von Verstärkern, kann man auch Atmosphäre und einen gewissen Zauber aus dem Theater nehmen. Das geheime Flüstern hat ja auch dramaturgische Bedeutung und ich finde es sehr schwierig, hier genau das richtige Level zu finden. Zu laut geht der Effekt verloren, zu leise wird es schwer verständlich. Das hat sich ja dann auch rasch eingependelt. Man darf nie vergessen, dass die Akustik bei einer Generalprobe eine ganz andere ist, als in einem vollbesetzten Haus zur Premiere.

Alles in allem bleibt ein rundes Erlebnis mit einem guten Buch, sehr guten Schauspielern, somit aber auch einer guten Regie und tollen Zusammenspiel auch mit der Technik. Ich finde es allgemein sehr gut, diesen Weg zu beschreiten, mit Klassikern, aber auch mal Modernen Stücken und einer Öffnung des Stadttheaters für andere Gruppen, wie diesmal der Musikschule Gießen. Vielleicht kommt noch der eine oder andere in den Hundepark und ich bin nun auch mal gespannt, wie es weitergeht. Für mich steht nun auch schon außer Frage, dass das Buch „Hundepark“ von Sofi Oksanen noch bei mir einzieht. Der Wunschzettel an das Christkind ist schon geschrieben. Wobei nicht sofort, denn ansonsten habe ich immer wieder bei den Figuren die Gesichter der Schauspieler vor den Augen und kann keinen eigenen Film beim Lesen entwickeln. Also wie wäre es, Menschen aus der Nähe von Gießen gehen ins Stadttheater und lesen das Buch vielleicht etwas später, und alle anderen lesen das Buch und erzählen mir dann noch mal, wie das Buch so war. Ich schaue weiter im Stadttheater vorbei und lerne weitere Theaterstücke kennen und fühle mich nach jedem Theaterstück irgendwie besser und erfüllter, als es ein Abend mit Netflix und Co. geben könnten.

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