La clemenza di Tito

Premiere im Stadttheater Gießen nach dem Sommernachtstraum, habe ich da etwas Angst. Aber gut, Caterina Cornaro und „Tosca“ haben mir ja auch gezeigt, dass das Stadttheater Gießen Opern kann und damit meine ich, dass es mit Frankfurt oder anderen, Opernhäuser in Hessen es aufnehmen kann.

Aber so eine gewisse Grundskepsis bleibt und erst recht, wenn Ann-Christine Mecke sagt, dass sie „La clemenza di Tito“ vom Bühnenbild her wie in der Serie Dallas gestalten. Ganz ehrlich, mein Bauchgrummeln wurde nicht weniger. Interessant war aber bei der Einführung auch die Geschichte der Oper, des Textes und wie sich dich Zeiten in den 60 Jahren zwischen Entstehung des Textes und der Vertonung durch Mozart verändert haben. Auch wurde auf die verschiedenen Arten der Oper eingegangen, einmal die Opera seria und die Opera buffa. Ihr wollt über die Geschichte dieser Opernarten etwas erfahren? Da gibt es zwei Wege, entweder man befragt die „Tante“ Google, oder, mein Tipp, man geht in die Oper und zwar in „La clemenza di Tito“ im Stadttheater Gießen. Das kann ich euch ans Herz legen. Es war wie immer kurzweilig und gut rübergebracht, was Frau Mecke zu erzählen hatte. Ich hätte ihr sicher noch eine halbe Stunde zuhören können, aber es sollte ja auch noch eine Oper aufgeführt werden. Besonders herausragend ist die Sache mit der Klarinette, die extra aus Paris nach Gießen geholt wurde und zwar eine Bassettklarinette, die sich durch einen besonders warmen Klang auszeichnet. Sie kommt in der Arie des Sesto im zweiten Akt zur Geltung. Das besondere an der Klarinette ist, dass sie sich seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert verändert hat. Zur Zeit von Mozart waren A- und C- Klarinetten sehr gängig und für diese hat Mozart komponiert. Der Klang der damals gängigen Bassettklarinette ist gerade in den hohen Lagen weicher als der, der heute gängigen B-Klarinette. Natürlich könnte man auch diese verwenden, aber es verändert den Klang und den Charakter des Stückes. Tristan Roche, als Soloklarinettist, verleiht diesem Instrument eine wunderbare Stimme im Duett mit Jana Markovic als Sesto.

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Aber das war noch nicht alles. Es wurde auch ein Bassetthorn in das Orchester integriert. Dies wird von Thomas Orthaber gespielt. Es tritt in der Arie der Vitellia als Duettpartner hervor. Es wird also wieder etwas Besonderes in Gießen gezeigt und daran sieht man auch wieder die Detailverliebtheit des Teams des Stadttheater Gießen.

Und genau dies ist dann wieder das, was ich bei oben genanntem Sommernachtstraum vermisst hatte. Bevor sich der Vorhang erhob stand Tim Kahn vor selbigem und teilte mit, dass eine der Sängerinnen erkältet war und sie vielleicht ein Kratzen oder Husten gelegentlich haben könnte. Das ich mir den Namen nicht gemerkt habe, oder auch nicht welche Figur sie gespielt hat, liegt einfach daran, dass mir nichts aufgefallen ist, wo ich sagen würde, jemand habe mal den Ton nicht richtig getroffen.

Als erstes saß Vitellia auf dem Sofa und zappte sich so durch das Programm und aß ganz nebenbei noch das ein oder andere Popcorn. Also ein ganz normaler Abend vor dem Fernseher, wie sagte Ann-Christine Mecke? Die Welt ging unter und sie tranken und schauten Serien. So, oder so ähnlich, hat sie sich in der Einführung ausgedrückt.

Vitellia wird von Julia Araujo gespielt und ganz ehrlich, diese Stimme haut mich echt jedes Mal aus den Schuhen. Wer in den 80ern groß geworden ist, kennt die Serie Dallas und genau so treten alle auf der Bühne auf. Diese Sakkos, die Schuhe und diese Farben, ganz ehrlich, ich bin froh, dass ich so nicht in den 80ern rumgelaufen bin. Dafür habe ich andere Dinge in den 80ern probiert, aber das sollte komplett vergraben werden.

Komme ich nun wieder zur Oper zurück. Wie Vitellia mit Sesto spielt, ist schon hart mit anzusehen, wie sie ihm das Popcorn zuwirft. Es fehlt nur noch, dass Sesto Männchen macht. Aber die Musik von Mozart und der Gesang der beiden, wie sie zusammen singen, echt, das ist ganz groß. Leid tat mir da Annio, der bei diesem Liebesspiel mehr oder weniger anwesend ist und immer wieder verschämt wegsieht. Ich kann ihm richtig nachfühlen. Ich glaube, fast jeder war schon mal in so einer ähnlichen Situation. Annio wird von Annika Westlund gespielt und gesungen, dazu dieser weichherzige Tito, der von Markus Francke gespielt wird, der mir am Anfang neben Vitellia, Sesto und Annio etwas schwach von der Stimme rüberkam, gibt noch eine ganz andere stimmliche aber auch charakterliche Note auf der Bühne.

Sesto und Annio werden von Frauen gesungen, was im ersten Moment verwirrend erscheint. Mit Blick auf die Geschichte der Oper aber logisch. Diese Rollen wurden zu Mozarts Zeiten von Kastraten gesungen. Da diese Verstümmelung von Kindern glücklicher Weise nicht mehr praktiziert wird, haben wir hier eigentlich einen klaren Fall von ausgleichender geschichtlicher Gerechtigkeit. Während Frauen damals nicht auf der Bühne auftreten durften, übernehmen sie nun die hohen Männerstimmen. Auch eine Form von Emanzipation.

Vitellia wurde mir von Minute zu Minute unsympathischer, so wie sie Sesto zu ihrem Spielball macht. Dieser verübt dann auch noch, auf ihren Geheiß hin, einen Mordanschlag auf Tito und wird gefasst. Dabei macht er auf der Bühne noch so eine gute Figur, dass man trotz seiner Tat Mitleid mit ihm hat. Dann kam auf einmal das wohl beste Cover von „Everybody wants to rule the World“. Besser hätte man die Ambitionen von Vitellia nicht für ein zeitgenössisches Publikum ausdrücken können. Julia Araujo überzeugte mit der E-Gitarre. Ganz ehrlich, das verwirrte mich etwas, aber es passte. Mozart hat bereits das Libretto von „La clemenza die Tito“ verändert, er hat auch Veränderungen im Stil seiner Opern gemacht und Elemente, die eigentlich zur Opera buffa gehörten, integriert, wie den Ensembelgesang. Wenn Mozart modernisierte, warum dann das heutige Theater nicht? Ich denke, es ist einfach eine Frage des wie und des persönlichen Geschmacks.

Was dieser Opernchor für Stimmen hat, Wahnsinn ich bekomme immer noch Gänsehaut von diesem Gesang.

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Im zweiten Teil war die Stimme von Tito in meinen Ohren präsenter und die Rolle hat er noch besser ausgefüllt. Heike und ich sind uns da nicht einer Meinung, denn sie fand ihn auch am Anfang schon toll.

Für mich als ehemaliger DJ möchte ich nun etwas erwähnen, was ich so selten zumindest in Opern sage. Diese Musikeinspieler oder die Regengeräusche etc. geben, zumindest in meinen Augen, geben dem ganzen noch eine gewisse Tiefe und saugen einen immer mehr in die Geschichte auch rein. Dieses Zusammenspiel zwischen den Einspielern und dem Orchester, das ist große Kunst und wer denkt, dies sei einfach, der sollte es mal selbst versuchen. Auf die Sekunde genau den Startknopf zu drücken, und alles genau richtig runterzuregeln, ist keine einfache Sache. Für manche Kritiker gehört sich so etwas vielleicht nicht, aber warum nicht, wir wollen doch, dass Opern uns abholen, begeistern und in unseren Augen und Ohren einen Film ergeben. Das eine schmälert ja nicht das andere. Es ergänzt sich einfach, genauso wie Videoeinspieler das Theaterstück oder die Oper ergänzen kann, aber nicht die Leistung des Schauspielers, Musiker oder Sänger schmälert, sondern einfach ergänzt.

Schwierig ist auch immer wieder dieses moderne Design und das Fehlen der Kostüme im klassischen Sinn aber, wenn man einen Stil richtig verfolgt und man den Schauspielern eine gewisse Freiheit bietet, dann kann auch dieses Moderne einen abholen, dann ist Tito eben optisch kein römischer Kaiser, sondern ein Bobby Ewing. Ganz ehrlich, der Bobby ist mir auch lieber, als so ein Kaiser.

Was das Sexuelle zwischen den „Männern“ betrifft, ganz ehrlich lasst sie doch mal eine Runde Bisexuell sein, denn zumindest Sesto konnte sich ja nicht so wirklich entscheiden. Er hat zum einen Tito geliebt, aber auch Vitellia. Das was der Text des Gesanges aussagt, lässt wenig Spielraum und das ist auch gut so. Über Publio, der von Tomi Wendt gespielt wurde, habe ich noch nichts gesagt, denn er passte sich dem ganzen Ensemble perfekt an. Er tritt nicht massiv hervor, wie es eben die Rolle so vorgibt, aber ohne Publio würde die Handlung hinken. ER ist ein gewisser Ruhepol in der intriganten Gesellschaft. Ich kann nicht sagen, wer besonders gut oder schlecht war. Ich könnte jeden einzelnen vom Opernchor, philharmonischen Orchester oder von den Hauptpersonen hervorheben, aber ich glaube, das Team, und damit meine ich jeden einzelnen, ist wichtig für dieses Erlebnis.

Es ist dieses auf Kleinigkeiten achten, bei den Kostümen und dem Bühnenbild, bei der schauspielerischen Leistung und dem Gesang, was diese Oper so besonders macht. Ich halte es da mit dem verträumten Blick meiner Kollegin Heike, die von einem perfekten Abend sprach. Aber dieses Zusammenspiel zwischen Mozart und der Inszenierung war einfach von A bis Z gelungen. Für Menschen, die Mozart mögen und aus der Umgebung von Gießen kommen, und damit meine ich auch wieder Menschen aus Frankfurt, schaut euch mal an, was ihr in unserem „kleinen“ Theater geboten bekommt! Seht es euch an! Genießt es! Meine Hoffnung ist, dass dieses Niveau gehalten wird, dass da vielleicht auch mal ein Stück dabei ist, welches einem nicht so gut gefällt, passiert! Geschmäcker sind verschieden und dieses Stück traf meinen auf den Punkt.

Das i-Tüpfelchen wäre für Heike wohl noch eine Kamera mit Blick auf die Solisten an Bassettklarinette und Bassetthorn gewesen nur für die beiden Soli. Gerade, wo es so eine besondere Instrumentierung ist, wäre es schön, dies auch dem Publikum zu zeigen.

Aber wenn man nicht hingeht und immer nur das gleiche macht und sich ansieht, dann kann es sein, dass man etwas verpasst. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich dieser Oper eine Chance gegeben habe, also geht hin und seht es euch an, genießt Kultur, lernt neue oder alte Dinge neu kennen und wenn es mal Dallas ist statt Rom, dann ist es halt so. Ich denke, jede Stadt hat ihre Schönheit. Selbst eine Stadt wie Gießen hat schöne Ecken und zumindest ein sehr schönes und gutes Theater.

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