LITL006 [Podcast] Widerstand und Glaube: Werner Milstein über Sophie Scholls Einfluss
Werner Milstein, der Interviewte, ist ein Pfarrer und Autor, dessen Lebensweg stark von dem Interesse an Sophie Scholl geprägt wurde. Im Gespräch schildert er, wie er bereits in seiner Kindheit von einem ikonischen Bild von Sophie Scholl berührt wurde, ohne zu wissen, wer sie war. Dieses frühe Interesse führte zu einer Lebensbegleitung, in der er verschiedene Werke über sie las, unter anderem von Inge Scholl und anderen Zeitzeugen. Die religiöse Dimension von Sophies Leben und ihren Überzeugungen gewann für Milstein dabei zunehmend an Bedeutung.
Milstein beschreibt, wie seine enge Verbindung zu Sophie Scholl ihn zur Entscheidung führte, ein Buch über ihren Lebensweg zu schreiben. Die Veröffentlichung der Verhörprotokolle nach der Wende und die damit verbundenen neuen Erkenntnisse zum Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus boten ihm eine erweiterte Perspektive. Aufgrund dieser Erkenntnisse und der gestiegenen Verfügbarkeit von Dokumenten und Zeitzeugen gab er schließlich eine neue Biografie zu ihrem 100. Geburtstag in Auftrag, die nicht nur die Fakten abdeckt, sondern auch die Glaubensüberzeugungen und die familiären Beziehungen von Sophie Scholl herausstellt.
Ein zentrales Thema des Buches ist die prägenden Rolle ihrer Mutter, die ihr aufgrund des Pietismus eine tiefe Glaubensüberzeugung vermittelte und eine unterstützende Person in ihrem Leben war. Milstein betont die enge Beziehung zwischen Sophie und ihrer Familie, insbesondere zu ihrem Bruder Hans Scholl, der ebenfalls eine tragende Rolle im Widerstand spielte. Über die Geschwister Scholl diskutiert er, dass die Dynamik in der Familie stark war und dass auch ihre anderen Geschwister Einfluss auf Sophies Denken und Handeln hatten.
Der Autor geht auch auf die künstlerische Begabung von Sophie Scholl ein und hebt hervor, dass sie in vielen künstlerischen Bereichen Talent hatte. Ihre künstlerischen Arbeiten, tiefgründigen Gedanken und die Natur ihrer Freundschaften sind für Milstein von großer Bedeutung. Sophies Freundschaften, die sie zu anderen jungen Menschen und zu Künstlern pflegte, hatten einen großen Einfluss auf ihr persönliches Leben und ihre Überzeugungen.
In dem Gespräch wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für Sophie Scholl und viele ihrer Zeitgenossen sehr schwierig war. Milstein beschreibt die anfänglichen Begeisterung einiger Jugendlicher für die NS-Organisationen und den schrittweisen Wandel hin zu einer kritischen Perspektive auf das Regime. Dies führte bei Sophie Scholl zu einem tiefen moralischen und ethischen Konflikt, der letztlich ihren Widerstand gegen das Regime motivierte.
Ein weiterer interessanter Punkt wird mit dem Bezug zu Zeitzeugen und deren Erzählungen angesprochen. Milstein hat mit mehreren Zeitzeugen gesprochen, darunter Freunde und Verwandte von Sophie Scholl, die ihm wertvolle Einsichten und persönliche Geschichten über Sophie und ihre Familie vermittelt haben. Diese persönlichen Berichte und historischen Dokumente führten zu einer vielschichtigen Darstellung von Sophie und ihrem Leben.
Die Diskussion über den Wert von Kunst und Literatur als Ausdruck von Widerstand wird ebenfalls beleuchtet. Milstein erläutert, wie Sophie Scholl sich für unterdrückte Künstler und Schriftsteller einsetzte und wie ihre literarischen Vorlieben sie prägten. Der Austausch über bedeutende literarische Einflüsse, wie zum Beispiel die Werke unter den Bedingungen der inneren Emigration während des Naziregimes, intensiviert das Bild von Sophie als eine Person, die nicht nur an Freiheit glaubte, sondern auch bereit war, für diese Freiheit zu kämpfen.
Das Interview endet mit dem Hinweis auf die Bedeutung von Sophie Scholls Lebensgeschichte für die heutige Gesellschaft. Milstein betont, dass die Lehren aus ihrer Zeit nicht in Vergessenheit geraten sollten und dass ihr Beispiel weiterhin als Inspiration dient, moralische Positionen zu beziehen und für menschliche Werte einzutreten, selbst wenn dies persönliche Konsequenzen mit sich bringt.