Chris Kraus
  1. Das kalte Blut ist ein Familienepos, über Generationen hinweg: Wie sind Sie zu dieser Geschichte gekommen?

Chris Kraus: Die Vorgeschichte zu Das kalte Blut ist umfangreich. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich habe mich für die Vergangenheit meines Großvaters interessiert und über ihn auch ein Buch geschrieben, zehn Jahre Recherchearbeit geleistet und bin dabei auf eine Version meiner Familiengeschichte gekommen, die mir vorher fremd war.

  1. Wie viel ist Fiktion, und wie viel basiert auf Realität?

Chris Kraus: Wie gesagt, ich komme selbst aus einer Täterfamilie und wusste das lange nicht. Ich habe mich daher in historische Recherchen gestürzt: Zehn Jahre lang habe ich in Archiven gearbeitet, Zeithistoriker interviewt, Zeitzeugen getroffen und dabei entdeckt, dass auch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ganz anders gelaufen ist, als uns das im Geschichts-unterricht beigebracht wurde. Tatsächlich wurde Deutschland nach dem Krieg ganz stark von Mitläufern und bekennenden Nationalsozialisten aufgebaut, in allen gesellschaftlichen Bereichen, ganz besonders aber in den Geheimdiensten. Das ist der Kern dieser Fiktionalisierung. Ich wollte wissen: Was sind das für Menschen gewesen? Ich wollte die Beweggründe ihres Handelns durchspielen. Der Hintergrund des Romans ist schon sehr nah an den historischen Fakten, die Konstellation der Hauptfiguren hingegen ist völlig erfunden.

  1. Wie genau haben Sie recherchiert, wo Ihre Informationen bezogen?

Chris Kraus: Ich habe sehr viele Zeitzeugen befragt, die inzwischen alle gestorben sind. Ich habe primäre Quellen untersucht in Archiven in Deutschland, in der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, im Bundesarchiv Koblenz, Berlin, ich war in Riga, in Warschau und in Washington. Dann habe ich natürlich viele Zeitschriften gelesen und vor allem einige Fachhistoriker getroffen.

  1. Wo, an welchen Orten, spielt Ihr Roman, und welche Verbindung haben Sie zu diesen Schauplätzen?

Chris Kraus: Die Hauptfiguren sind alle aus dem deutschbaltischen Milieu, wie ich auch. In dieser Kultur kenne ich mich aus. Ich habe auch zum Teil diese alte Sprache benutzt, mit der ich aufgewachsen bin, diesen merkwürdigen Dialekt, den es heute nicht mehr gibt, eine Mischung aus Ostpreußisch und Jiddisch. Es war schön, wieder einzutauchen in diese untergegangene Zeit. Ich bin dann den Spuren meiner Altvorderen nach Westdeutschland gefolgt. Der Roman spielt an vielen Schauplätzen, weil die Hauptfiguren Spione sind und diese zwangsläufig heute hier und morgen dort sind.

  1. Wie bewahrt man beim Erzählen eine Art Leichtigkeit bei diesen schweren und auch schwermütigen Schicksalsschlägen, Kriegen, Katastrophen?

Chris Kraus: Es ist schon so, dass der historische Stoff so irrsinnig ist, dass man nur weinen oder lachen kann. Wie soll man sich sonst anders behelfen? Der Stoff selbst gibt eine Distanzierung vor, die gut mit Humor funktioniert. Das Verrückte am Humor ist, dass er auf einer Seite die Distanzierung ermöglicht von den Dingen, die beschrieben werden, und auf der anderen Seite aber eine Nähe zu der Figur schafft, die den Humor benutzt. Letztlich hat aber der Humor in dem Buch natürlich viel mit Verzweiflung zu tun.

  1. Ist es in heutiger Zeit besonders wichtig, an die Greuel der Vergangenheit zu erinnern?

Chris Kraus: Das Verrückte ist: Die Greuel bleiben alle immer gleich. Da ist nichts besser geworden bis heute. Die Grundausstattung, die mentale Ausstattung zur Bestialität, hat der Mensch immer. Die kann jederzeit durchschlagen. Das ist vielen unserer Großväter widerfahren in einer Zeit, in der man sich das eigentlich nicht vorstellen konnte, einer hochzivilisierten Zeit. Mir und Ihnen ist das zum Glück bislang nicht widerfahren. Es kann aber jederzeit wieder geschehen. Es muss sozusagen nur eine Konstellation da sein, die die Menschen dazu bringt zu vergessen. Und dafür ist Geschichte wichtig, dass man möglichst nicht vergisst, und dafür ist Politik wichtig, dass diese Situation nicht eintrifft.

Chris Kraus Leseprobe (PDF) (c) Diogenes Verlag

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2 Kommentare

  1. Hallo Markus,
    bei der LBM konnte ich den Autor kennenlernen. Er hat mich schon sehr überzeugt sein Buch lesen zu müssen.
    Interessantes Interview, das ebenfalls neugierig auch das Buch macht.
    Grüße
    Silvia

    1. Du bist ja schneller mit dem ansehen, wie ich mit dem nachbearbeiten, da ich beim Video noch einen Fehler drin hatte bei der Verknüpfung.
      Wobei es mir einfach freut, wenn den Nutzern das so zusagt und ich wäre gerne auf die LBM gegangen aber, aber ich war krank ….

      Liebe Grüße Markus

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