Barczok Luft nach oben
Dr. Michael Barczok ist Facharzt für Lungenkrankheiten. Wir haben nachgefragt, wie er die aktuelle Situation bewertet, worauf wir uns noch einstellen müssen und was beim Basteln von Mundschützen wichtig ist:  
Wie bewerten Sie als Pneumologe die aktuelle Situation? Besteht aus Ihrer Sicht Hoffnung, dass die Lage sich bald bessert?  
Wenn man unkontrolliert zu schnell aufmacht, droht eine schwierige Rebound-Welle. Man wird sehen müssen, wie die Öffnungsmaßnahmen in China oder nun auch in Österreich letztendlich funktionieren. Sicher ist aus meiner Sicht, dass vor einer Massenimpfung, die wohl frühestens Mitte nächsten Jahres erfolgen wird, kein vollständiger Schutz möglich sein wird und Einschränkungen für die Bevölkerung weiterbestehen werden. Spannend finde ich, dass in Österreich als erstes kleine Geschäfte, wohl auch Büchereien etc. öffnen dürfen, während Kinder und Schüler noch unter Hausarrest stehen.  
Wie hat sich Ihr eigenes Leben verändert durch den Virus und die Schutzmaßnahmen? Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?  
Obwohl ich Risiko-Person bin (66 Jahre, diverse chronische Erkrankungen) mache ich weiterhin Dienst in unserer Praxis allerdings mit FF P3 Maske. Ich kümmere mich in erster Linie um unsere Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen und biete eine Onlinesprechstunde an, während die jüngeren Kollegen sich verstärkt um Corona-Verdachtsfälle oder Corona-Patienten kümmern, die wir dann auch in häuslichem Arrest per Onlinesprechstunde täglich visitieren. Maßnahmen, die noch vor wenigen Wochen völlig undenkbar waren! Das bedeutet einen irren Schub für innovative Entwicklungen in der Medizin.  
Wie bewerten Sie die Schutzmaßnahmen und das Krisenmanagement in Deutschland?  
Nachdem alle völlig unvorbereitet waren, ist die Lage anhaltend schwierig, das kann man aber eigentlich niemandem vorwerfen. Wenn überhaupt, hätte der Staat zentral eine Bevorratung für Millionen Menschen und Monate hinweg machen können und müssen. Wir werden für die Zukunft daraus lernen, da bin ich mir sicher. Ich finde, dass wir alles in allem sowohl in der ambulanten Medizin, in der stationären Medizin als auch im staatlichen Krisenmanagement ganz überwiegend einen guten Job machen. Was jetzt bald kommen muss, ist allerdings der wirklich zuverlässige und problemlose Schutz aller Beschäftigten im Medizin- und Pflegebereich und die Ausstattung der übrigen Bevölkerung mit einfachen Masken, die dann nicht vor Ansteckung schützen müssen, sondern verhindern sollen, dass unerkannte Virus-Träger erneute Hotspots aufbauen können.  
Was können Sie uns auf den Weg geben, was sind wirklich nützliche Tricks, über das Händewaschen und Niesen in die Armbeuge hinaus?   Gehen Sie Joggen, Radfahren oder Spazieren. Nutzen Sie das schöne Wetter, bewegen Sie sich an der frischen Luft – solange Sie allein sind, ist das ja in allen Bundesländern noch erlaubt. Essen Sie gesund – Vitamine sind gut für das Immunsystem. Hören Sie auf zu rauchen! Und lassen Sie sich gegen Grippe und Pneumokokken impfen, wenn es noch möglich ist, insbesondere, falls Sie Teil einer Risikogruppe sind.  
Mancherorts herrscht mittlerweile eine Mundschutzpflicht und viele Menschen fangen jetzt an zu basteln – schließlich sind Schutzmasken rar. Was sollten wir beachten, wenn wir uns selbst einen Mundschutz nähen?  
Nicht viel, der Schutz ist ohnehin seuchenhygienisch unwirksam, wenn es darum geht, sich vor Viren zu schützen. Es geht eigentlich nur darum, dass man bei Husten oder Niesen nicht einfach wild in den Raum hinein sprüht, sondern die Sprühtröpfchen von irgendetwas zurückgehalten werden, sei es eine einfache chirurgische Maske oder auch ein nettes Tuch. Der oberste Gesundheitsarzt des amerikanischen Zivilschutzes hat im Fernsehen gezeigt, wie man sich selbst aus einem Stück Stoff eine Maske mit einem Hefter und 2 Gummis basteln kann.  
Was vermuten Sie: Werden Schutzmasken auch nach Corona im Straßenbild erhalten bleiben? Wäre das sinnvoll?  
Nun, in Amerika oder Asien war das ja schon immer weit verbreitet, dort allerdings sinnlos, da es gegen Luftverschmutzung nicht hilft. Schon immer sinnvoll gewesen wäre es für die Millionen von Pollenallergikern in Deutschland, da auch einfache Mundschutze super gegen Pollen helfen. Wenn es gelingt, Masken modisch schön aufzubereiten, wird man sich daran im Straßenbild gewöhnen dürfen.  
Wie verläuft Covid-19 eigentlich? Warum merken Viele so lange oder gar nicht, dass sie infiziert sind?  
Mein Buch „Luft nach oben“ erscheint dieser Tage als eBook mit einem ganzen Extra-Kapitel nur zu Corona: Darin ist ausführlich erklärt, dass Corona-Infektionen in mehreren Stufen auftreten können. Bei 80 % kommt es nur zu einem eher geringfügigen, manchmal nicht bemerkten Infekt der oberen Atemwege. Bei einem Teil kommt es aus Gründen, die wir letztendlich noch nicht vollständig verstehen, dazu, dass die Viren den Weg in die Tiefe finden. Eine Rolle scheint dabei zu spielen, wenn die Entsorgungsfunktion der Bronchien nicht richtig funktioniert (chronische Atemwegserkrankungen, insbesondere COPD, vor allem wenn man weiter raucht). Nur bei einem relativ kleinen Teil kommt es dann wirklich zu den gefürchteten Pneumonien, die auch tödlich enden können. Auch das verstehen wir noch nicht so ganz, insgesamt ist die Zahl der Todesfälle bezogen auf die Zahl der Infizierten (die aber schwer festzustellen ist, vermutlich 5-10 mal höher liegt als die aktuell mitgeteilten Zahlen) gar nicht so dramatisch und auch bei Grippeinfektionen möglich, wobei zu beachten ist, dass hier gegen ja geimpft werden kann und deshalb der Virus bei weitem nicht so viel Opfer findet wie jetzt der Corona-Virus.  
Welche Lehren sollten wir im Sinne unserer Gesundheit aus der aktuellen Zeit ziehen?  
Zunächst einmal etwas mehr Demut, ähnliche Pandemien hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. An der spanischen Grippe sind vor etwa 100 Jahren Millionen von Menschen gestorben. Auch Bakterien könnten ähnliche Probleme aufwerfen, wenn wir es nicht schaffen, das Problem der Resistenzen in den Griff zu kriegen. Und schließlich mehren sich völlig zu Recht die Stimmen, die sagen, dass weitere Entgleisungen des Weltklimas vergleichbare Versorgungskrisen hervorrufen könnten. Auch im medizinischen Bereich droht das, da immer mehr Erreger, die bisher nur in tropischen Ländern eine Rolle gespielt haben und gegen die unsere Bevölkerung keine Abwehrstoffe besitzt, plötzlich auch in unseren Breiten auftauchen (zum Beispiel das Nil-Fieber). Wir sollten also alle Steuergrößen im Auge behalten und uns im Übrigen für großflächige Katastrophen in Zukunft besser rüsten. Auf der anderen Seite ist es unglaublich, wie schnell und elastisch unser System plötzlich reagieren konnte, die Bürokratie, sei es im Finanzbereich, sei es aber auch im medizinischen Bereich, wurde plötzlich komplett überrannt, Dinge, die nie möglich waren, sind plötzlich möglich. Auch daraus werden wir sicher für die Zukunft lernen können und zwar positiv.  

„Luft nach oben“ von Dr. Michael Barczok

Wussten Sie, dass wir regelmäßig einen Heißluftballon voller Luft ein- und ausatmen? Ob wir Marathon laufen oder schlafen, unsere Lunge versorgt uns permanent mit der optimalen Menge an Sauerstoff. Wir spüren unser Atemorgan bloß, wenn etwas nicht stimmt. Was passiert, wenn wir husten, kurzatmig sind oder schnarchen? Was steckt hinter Allergie, Asthma und COPD? Was können wir gegen all die Atembeschwerden tun? Wie fit ist eigentlich die eigene Lunge? Darüber hinaus stellt sich Barczok den Fragen der aktuellen Debatte: Wie sinnvoll sind Grenzwerte für Dieselabgase und Fahrverbote? Wie gefährlich ist die Feinstaubbelastung in unserer Atemluft? Alle Antworten und die besten Tipps für eine lebenslang gesunde Lunge finden sich in diesem Buch.

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