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Real Tigers ist der dritte Band Ihrer Agentenserie rund um die Abservierten aus dem MI5. Worum geht es in diesem neuen Roman? Wer steht diesmal im Mittelpunkt?


Mick Herron: Real Tigers beginnt mit einer Entführung. Eine Agentin aus Slough House, Catherine Standish, wird auf dem Heimweg gekidnappt. Und es stellt sich heraus, dass die Kidnapper nicht wie üblich an einem Lösegeld interessiert sind. Stattdessen fordern sie, dass Catherines Kollege River Cartwright ins Hauptquartier des Nachrichtendienstes – Regent’s Park – einbricht und dort die Akte des
Premierministers stiehlt. Es ist ein Roman über Rache und darüber, wie gefährdet Daten im Hightech Zeitalter sind. In Real Tigers geht es außerdem um Politik im weitesten Sinn – in Gestalt von Amtsträgern, die ihre Karriere befördern wollen, und auch in Form von Bürointrigen. Es geht um die Frustration und Bitterkeit
derjenigen, deren Karrieren in einer Sackgasse stecken. Und darum, wie weit die Erfolgreichen zu gehen bereit sind, um andere am Erfolg zu hindern.
Die eigentliche Hauptfigur dieses Romans ist diesmal Catherine Standish. Aber auch die anderen »Slow Horses« haben ihre Auftritte, und es gibt richtig viel Action, und gegen Ende des Buches wird gerannt, gekämpft und geschossen. Aber davor erfahren die Leser viel über Catherines Vergangenheit, wie sie ihren Alkoholismus überwunden hat und wie dieser vorläufig stille Kampf ihr Leben auch weiterhin prägt.

Was reizt Sie daran, immer wieder über Verlierer zu schreiben?

Mick Herron: Ich sympathisiere mit den Verlierern. Ich finde Verlierer in vielerlei Hinsicht interessanter und ergiebiger als Erfolgreiche. Und Menschen, die viel beweisen wollen, auch sich selbst, sind für einen Romanautor eine stete Quelle der Inspiration. Am Ende hat ein Verlierer mindestens genauso viel gekämpft wie ein Gewinner, es gibt bloß keine Belohnung. Und darüber lässt sich auch humoristisch
schreiben, vorausgesetzt, der eigene Humor ist schwarz genug.

In Real Tigers kommt auch ein skrupelloser Politiker vor, der nach ganz oben will und der in vieler Hinsicht an Boris Johnson erinnert. Der hat es in der Zwischenzeit immerhin in die Downing Street Number 10 geschafft. Ihr Kommentar, Mick?


Mick Herron: Kein Kommentar! Und ich übernehme auch keine Verantwortung dafür … Als ich Peter Judd erfand, wollte ich lediglich eine Figur schaffen, die die denkbar schlimmsten Eigenschaften eines Politikers in sich vereint: selbstsüchtig, illoyal, unseriös und korrupt. Die Sorte Mann, dessen nackter Machthunger allein schon zeigt, dass er für höhere Ämter ungeeignet ist. Wenn Leser Ähnlichkeiten zwischen Judd und Johnson entdecken, sind sie von allein zu diesem Schluss gekommen.

Wie recherchieren Sie?


Mick Herron: Im üblichen Sinn recherchiere ich nicht. Mich interessieren die Figuren und ihre Beziehungen untereinander. Und die Welt der Politik, in der Inkompetenz belohnt wird. Außerdem bin ich davon fasziniert – und darüber entsetzt –, dass es immer mehr Politiker gibt, die die Menschen verachten, denen sie eigentlich dienen sollten. Meine Plots sind also Werkzeuge, um diese Verhältnisse zu
erkunden, und drehen sich in der Regel um politische Machenschaften und Intrigen.
Wenn eine Handlung von den Lügen lebt, die sich die Figuren gegenseitig erzählen, muss man nicht viel recherchieren, da genügt die tägliche Zeitungslektüre.

In Großbritannien wurde der erste Jackson-Lamb-Fall bereits 2010 veröffentlicht, also vor zehn Jahren. Seitdem hat sich politisch im Land viel verändert. Hat das einen Einfluss auf Ihre jüngeren Bücher?


Mick Herron: O ja. Das fünfte Buch der Serie, London Rules, ist sozusagen ein Brexit-Roman und handelt von grotesken Fehlern, von Intrigen von Heuchlern und dem Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe. Bis 2016 habe ich mich noch verpflichtet gefühlt, beim Schreiben auf Plausibilität zu achten,
aber inzwischen habe ich es aufgegeben. Nichts, was ich erfinden könnte, würde mit den realen Absurditäten mithalten, von denen dieses Land in den letzten Jahren dank seiner Regierung heimgesucht wurde.

Ihre Romane werden gerade als TV-Serie mit Gary Oldman als Jackson Lamb verfilmt. Was wissen Sie über den Stand der Dreharbeiten?


Mick Herron: Ursprünglich sollten sie im Mai beginnen. Momentan hofft man, im November anfangen zu können. Aber wie so vieles im Moment hängt das davon ab, inwieweit wir bis dahin die Pandemie im Griff haben werden.

2020 wurden nahezu alle großen Veranstaltungen und Festivals abgesagt. Vermissen Sie die Lesereisen?


Mick Herron: Das tue ich. Ich vermisse nicht das Reisen an sich. Aber ich vermisse es, anderswo zu sein und Leser zu treffen. Ich vermisse die Freude, Anspannung und Aufregung während der Festivals und bei Lesungen vor großem Publikum. Und ich vermisse die Begegnungen mit anderen Schriftstellern, was eine der schönsten Seiten meines Berufs ist. Es ist ein Mix aus vielen Emotionen. Im Großen und Ganzen bin
ich natürlich glücklich, wenn ich zu Hause bin und mit meinem aktuellen Buch vorankomme. Aber nach all den Monaten sehnt sich ein Teil von mir auch danach, wieder draußen in der Welt zu sein.

(c) Diogenes Verlag

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