LITL523 [Autorenlesung-Podcast] Im Westen war die Sonnenseite - Siegfried Burghardt

LITL523 [Autorenlesung-Podcast] Im Westen war die Sonnenseite - Siegfried Burghardt

In dieser Folge meiner Lesung aus dem Buch “Im Westen war die Sonnenseite. Flucht zwischen zwei Fronten” erzähle ich von meinen Erlebnissen als 11- bis 14-Jähriger während des Zweiten Weltkriegs. Meine Mutter und meine vier Geschwister flohen vor den russischen Truppen aus Masuren, da unser Vater an der Front vermisst wurde. Wir konnten uns durch Flüchtlingstransporte vor den sowjetischen Soldaten schützen, mussten aber dennoch die Schrecken des Krieges hautnah miterleben.

Die Flucht erfolgte in drei Etappen, mit Zwischenstopps in Pommern, Kolberg und Berlin-Brandenburg. Während dieser Zeit musste ich die Hühner töten, um Fleisch einzukochen, was mir sehr schwerfiel. Unsere Reise war für mich keine Umzug, sondern eine Fahrt ins Ungewisse. In Kolberg wurden wir Zeugen der schrecklichen Katastrophe der Versenkung des Schiffs “Wilhelm Gustloff”, bei der über 9.000 Menschen ertranken.

Aufgrund der drohenden Gefahr durch die russischen Truppen entschied meine Mutter, weiter in Richtung Westen zu fliehen. Durch die Hilfe meiner Tante aus Berlin gelangten wir nach Brandenburg, wo wir vorerst Unterkunft fanden. Anfang März hatten wir schließlich die Möglichkeit, weiter nach Hannover zu reisen, da wir dort Verwandte hatten. Doch bei unserer Ankunft ereignete sich ein Luftangriff der Alliierten, der uns daran erinnerte, dass der Krieg noch nicht vorbei war.

Nach diesem schrecklichen Ereignis wurden wir in einem überfüllten Bunker untergebracht, wo wir unter schwierigen Bedingungen kaum schlafen konnten. Als wir endlich frische Luft atmen konnten und zur Bahnhofshalle zurückkehrten, stieg die Vorfreude auf das Ende unserer Odyssee.

Schließlich erreichten wir die Kahlenberger Mühle, wo wir vorübergehend in einer kleinen, heilen Welt der Natur Zuflucht fanden. Doch uns war bewusst, dass wir uns noch immer im Krieg befanden und die Westfront überstehen mussten.

Und dann kamen die Alliierten in den hannoverschen Raum, auch zu uns in der Mühle. Die Begegnung mit den englischen Soldaten war freundlich und friedlich, sie schenkten uns sogar Schokolade und Kekse. Diese Begegnung verstärkte meine Hoffnung auf Frieden.

Später hatte ich noch zwei weitere unvergessliche Begegnungen mit alliierten Soldaten, bei denen ich Süßigkeiten bekam. Diese Momente fühlten sich seltsam an, denn ich befand mich immer noch mitten im Krieg auf der Sonnenseite.

Ich erzähle auch von meiner Arbeit als Obstpflücker auf der Kallenberger Mühle, bei der mein Bruder und ich gutes Geld verdienen konnten. Wir genossen die süßen Früchte und durften uns zudem immer eine Portion mitnehmen.

Trotz einiger widersprüchlicher Anweisungen und alkoholisierter Zustände des Gärtners konnten wir unsere Arbeit gut erledigen und sogar Zwetschgenmus kochen.

Während unserer Flucht waren wir zum Glück nicht mit grausamen Taten konfrontiert, und diese Erfahrungen haben kaum traumatische Spuren bei mir hinterlassen. Stattdessen haben sie mir geholfen, Anpassungsstrategien zu entwickeln und wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Mit einer positiven Aufbruchsstimmung und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft verfolge ich weiterhin meine Ziele und träume von den schönen Seiten des Lebens.